Zelte im Garten eines englischen Hinterhauses

Meine erste Radreise trotz kleiner Reisekasse

Ein Jugendtraum geht in Erfüllung

Es war 1998 nicht 1996 und meine Freundin war auch nicht in der Südsee, aber sie war auch nicht die richtige um diese „Traumreise“ mitanzutreten.

Endlich sollte es auf eine „große“ Radreise gehen bei der nur ein grobes Ziel feststand und ungefährer Rückkehrtermin. Eine Erfüllung eines Jugendtraumes den ich mir bis dato nicht leisten konnte.

Mit einem Kumpel der damals erst kurze Zeit vorher seine Begeisterung fürs Radfahren entdeckt hatte und auf der Reise sich seine Fitness quasi erstrampeln sollte, wollte ich diese Reise antreten.

Unsere Reiseroute sollte von Duisburg nach Schottland führen und mindestens einen Monat dauern.

Einziges Problem: Die Reisekasse war ziemlich klein, da beide zu der Zeit Anfang 20 und Bafög-Studenten.

So viel vorweg, das geographische Ziel, der Reise haben wir bei weitem verfehlt, aber wir kamen viel sinnerfüllter von der Reise zurück.

Reisen mit wenig Geld

Radreisen machten vor 20 Jahren nur wenige. Von den wenigen besaß keiner damals ein GPS-Gerät und das Smartphone war auch noch nicht erfunden. Alles andere, was wir so meinten zu brauchen, hatten wir in unsere Fahrradtaschen gestopft. Das war eine Menge. Damals sorgten solch vollgepackten Fahrräder für das eine und andere erstaunte Gesicht am Wegesrand.

Die Idee sich auf diese Weise auf eine Reise durch das dicht besiedelte Westeuropa quasi ohne Geld zu machen, sorgte bei uns für ein gewisses Unwohlsein oder anders gesagt ein Gefühl sich in ein Abenteuer im Sinne eines sozialen Feldversuches zu begeben. Auch, wenn wir durch Länder mit sehr guter touristischer Infrastruktur fahren würden, war uns klar, dass wir auf Hilfe der Mitmenschen angewiesen sein würden, denen wir unterwegs begegnen. Denn einfach in einem Hotel einzukehren, war finanziell nicht möglich.

Wenn man mit wenig Geld unterwegs ist, ist die Frage, wo man die nächste Nacht verbringen wird ziemlich prekär.

Ohne es vorher ausprobiert zu haben, hatten wir die Idee abends an fremden Häusern einfach anzuschellen und zu fragen, ob wir in den Gärten der Menschen campen dürfen.

War das realistisch?
Stellt euch vor, zwei durchgeschwitzte fremde, junge Männer klingeln bei euch abends an der Tür und fragen im schlechten Englisch, ob ihr etwas dagegen habt, dass sie ein Zelt in eurem Vorgarten aufschlagen dürfen.. wie würdet ihr reagieren?

Es hat nicht immer auf Anhieb geklappt, aber wir haben letztendlich immer einen Menschenfreund gefunden und jede Nacht einen sicheren Platz auf einem Privatgrundstück angeboten bekommen. Mal war es eine Pferdewiese, mal ein schicker englischer Vorgarten und ein anderes Mal eine Scheune mit einem Jack Russell als Bewacher zwischen unseren Schlafsäcken.

Ackerfeld mit Blick auf Kathedrale von Salisbury
Campen auf einem Acker bei Salisbury mit Erlaubnis des Bauers

Gastfreundlichkeit gegenüber völlig Fremden

In der Regel wurden wir sogar gastfreundlich aufgenommen, so dass auch mal ein Kaffee, ein Frühstück oder sogar eine warme Dusche uns angeboten wurde.

Das wichtigste war mir aber, dass wir auf diese Weise ins Gespräch mit den Menschen kamen an denen wir sonst einfach anonym nur vorbeigefahren wären.

Die einzige unerwartete Absage habe ich von einem meiner besten Freunde für die letzte Übernachtung vor der Rückkehr in Duisburg erhalten. Wir sind bis heute Freunde, aber das reibe ich ihm bis heute regelmäßig unter die Nase. Eine gute Seite hatte die Absage trotzdem. Wir waren gezwungen bis nach Duisburg durchzufahren und schafften am letzten Tag unseren km-Tagesrekord von immerhin 150 km.

Gern wüsste ich, ob es in der heutigen Zeit, in der medial ständig die Ängste vor Fremden geschürt werden und auch alles kommerzialisiert wird (auch im privaten Bereich bspw. P2P-Commerce wie Airbnb) eine solche Art des Reisens überhaupt noch möglich ist?

Ein Gefühl der Freiheit

Das Reisen mit dem Fahrrad hatten wir nicht nur aus Kostengründen gewählt. Wir wollten uns bewusst langsam fortbewegen und die sich ändernde Landschaften in uns aufnehmen. Dabei jederzeit frei sein in der Entscheidung welchen Weg als nächstes einschlagen. Wir versuchten verkehrsreiche Hauptstraßen zu meiden, was sich allerdings damals ohne Navi alleine mit Landkarten als schwierig darstellte. So hatten wir so manchen Kilometer mehr zurückgelegt als es nötig gewesen wäre. Das ließ uns relativ schnell das Reiseziel Schottland in unerreichbare Weite rücken.
Dennoch fühlte sich alles sehr intensiv und richtig an. Es war bspw. ein erhabenes Gefühl nach 3 Tagen im Gegenwind mit teilweise nur 4 km/h in Oostende in die Fähre nach Dover zu steigen.

Als wir nach einem Monat auf dem Rückweg waren und an einem der letzten Abende unser Zelt aufschlugen, merkten wir, dass wir am liebsten immer weiter fahren würden. Wir hatten nur positive Erlebnisse im Gepäck.

Das hochpreisige England und London hat uns für den Monat insgesamt nur 500 Mark abverlangt. Diese Tatsache war für uns der Beweis, dass nicht das liebe Geld uns zukünftig im Weg stehen würde, auf die wirklich große Reise zu gehen, sondern wir selbst oder eben das Leben mit all seinen Herausforderungen.


Reiseimpressionen in Bildern

Leider in schlechter Qualität, da Fotos eingescannt wurden. Die digitale Kamera war noch nicht erfunden und wir mussten uns mit einer einfachen Kleinbildkamera abfinden.

Reiserad mit Packtaschen an einer Landstrasse in Belgien
Kurzer Pause in Belgien an der berühmten Gdynia-Bridge
Zelten im Garten eines englischen Hinterhauses
Campen im Garten eines englischen Reihenhauses. Unsere Gastgeberin hatten wir kurz davor auf der Straße angesprochen.
Ortschild von Oxford mit unseren Reiserädern
Oxford – Der Wendepunkt unserer kleinen Fahrradreise
Vermüllter Hinterhof unserer Unterkunft in London
Hinterhof unserer Londoner Unterkunft passend zu kleinen Reisekasse

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